Stille Reserve

Dr. Oliver Ahrens, PD Dr. Gernot Barth, RA Bernhard Böhm, Dr. Alexander Insam
Personalwirtschaft, 09/2013

Es gibt viele Ansätze zur Effizienzsteigerungin Unternehmen. Dabei kommt häufig ein entscheidender Punkt zu kurz: Der „Faktor Mensch“. Im Bereich des Konfliktmanagements lassen sich Kosten sparen und Potenziale entfalten.

Jedem Beschäftigten ist wohl eine Anzahl von Konflikten in seinem unternehmerischen Umfeld bekannt. Derartige Konflikte bergen Risiken und Chancen: Einerseits sorgen sie für Reibungsverluste, Ineffizienzen, kurz: Sie produzieren sogenannte „Konfliktkosten“. Andererseits können daraus auch wichtige Impulse für notwendige Veränderungen für das Unternehmen hervorgehen.

Konfliktpotentiale in ihrem „Wert“ oder ihrer „Dringlichkeit“ zu erfassen ist schwierig, denn die Auswirkungen von Konflikten sind vielschichtig. Die fehlende Wertstellung von Konfliktpotentialen führt in der Regel dazu, dass sie nicht bearbeitet werden. Die Erfahrung lehrt: Die Unbekannten bleiben unbearbeitet!

Dilemma des Konflikts

Somit ergibt sich ein Dilemma: Einerseits ist ohne Kenntnis der Anzahl und Schadenshöhen von Konfliktfolgen das Ausmaß der damit verbundenen Ineffizienzen in Wirtschaftsunternehmen nicht greifbar. Nutzen und Notwendigkeit eines gezielten Managements dieser Potentiale bleiben verborgen. Zugleich mangelt es somit an der Grundlage zur Professionalisierung der Erfassung und Beurteilung von Konfliktpotentialen. Dieses Dilemma ist umso erstaunlicher, da in nahezu allen anderen Bereichen der Wertschöpfungskette von Wirtschaftsunternehmen systematisch an der Effizienzsteigerung und Optimierung mit einer Vielzahl von Methoden und Ansätzen gearbeitet wird. Beispiele sind hier Total Quality Management, Six Sigma, Kaizen etc. Warum ist es bei Konflikten anders?

Zum einen ist der „Wirkungsgrad“ eines Mitarbeiters in der Zusammenarbeit mit seinen Kollegen schwer messbar. Das Idealbild geht in der Analogie eines Antriebsstrangs davon aus, dass die Leistung eines Motors zu nahezu 100 Prozent über die Kupplung auf eine Antriebswelle übertragen wird. Tatsächlich ist die „Wirksamkeit“ in der Ausübung einer Tätigkeit aber nicht allein von den aufgabenbezogenen Fähigkeiten eines einzelnen Mitarbeiters bestimmt. In unserer arbeitsteiligen Welt spielt die „Kupplung“ – also die Interaktionsfähigkeit des Einzelnen – eine ganz wesentliche Rolle. Dieses Zusammenspiel der Individuen – der „Faktor Mensch“ – wird in der Regel bei der Effizienzbeurteilung von Abläufen als vollständig leistungswirksam angenommen. Damit werden aber die den Konflikten zwischen agierenden Personen geschuldeten Effizienzeinbußen ignoriert.

Zum anderen entzieht sich die Komplexität der Auswirkungen von Konflikten einer einfachen Beurteilung. Wer vermutet schon, dass sich etwa hinter einer vermeintlich einfachen Stellennachbesetzung Aufwände von sechs oder mehr Kostenbeiträgen verbergen? Sehen wir einmal genauer hin:

  • Spätestens zum Zeitpunkt der Kündigung des Mitarbeiters darf von einer „Inneren Kündigung“ ausgegangen werden, die sich in einer Leistungsabnahme auswirkt und (nicht nur) finanzielle Kettenreaktionen nach sich zieht.
  • Aufwände zur Stellennachbesetzung können sich von Anzeigen bis zu Honoraren für Personalvermittler ergeben.
  • Der Auswahlprozess einer Stellennachbesetzung bindet Arbeitszeit in der Personalabteilung und in den Fachabteilungen.
  • Zwischenzeitliche Stellvertreterdienste sind von weiteren Mitarbeitern zusätzlich zu leisten oder verursachen Kosten, wenn diese an externe Dienstleister vergeben werden.
  • Wenn ein Nachfolger gefunden wurde, muss häufig ein Mindestaufwand für die Einarbeitung oder Basisschulungen betrieben werden.

Diese beispielhafte Aufzählung verdeutlicht, dass die Auswirkungen eines unangemessen geführten Konflikts, der zur Kündigung eines an sich wirksamen Mitarbeiters führt, vielfältig sein können. Aufgrund der verschiedenen Wirkdimensionen solcher Konfliktfolgen sind diese zumeist nicht einfach zu überblicken. Dieses wiederum bestätigt das oben beschriebene Dilemma: Da die Schadenshöhen von Konflikten nicht offensichtlich sind, ist die Notwendigkeit professioneller Konfliktmanagementsysteme nicht ersichtlich. Daraus folgt wiederum, dass ohne etablierte Methodenkompetenz eines solchen Konfliktmanagements die in einem Unternehmen schlummernden Konflikte keine Basis zur systematischen Beurteilung bzw. „Wertschätzung“ erfahren.

Konflikte berechnen und sichtbar machen

Einen Schlüssel zur Überwindung dieses Dilemmas stellen Studien zur Bewertung von Konfliktfolgen dar. Hierzu sind in vergangenen Jahren, federführend begleitet durch KPMG, diverse Umfragen durchgeführt worden, die zu wichtigen Grundsatzaussagen geführt haben:

1. Konfliktkosten sind messbar

Konfliktkosten lassen sich als jede geplante und besonders jede ungeplante Abweichung von der zielgerichteten Ressourcenverwendung in einer Organisation, die auf funktionalem oder dysfunktionalem Verhalten von Mitarbeitern basiert, definieren. Kurz gesagt handelt es sich um verhaltensbedingte Mehrkosten. „Menschen“ nicht „Roboter“ arbeiten zusammen und dabei entstehen ungeplante Abläufe und Ergebnisse. Dies kann strukturelle Ursachen, zum Beispiel in Matrixorganisationen bei gegenläufigen Weisungen haben, aber auch in der Person der Handelnden, d.h. auf der interpersonalen Beziehungsebene, begründet sein.

2. Konflikte können nützlich sein

Konflikte per se sind weder gut noch schlecht, sie können sich positiv (funktional) und negativ (dysfunktional) für die Organisation auswirken. Funktionale Konfliktkosten wirken wie „Konfliktgold“ und sollten sogar gefördert werden, da neue Ideen, Innovationen und Synergien nur aus der Durchbrechung von gewohnten Regelabläufen entstehen. Dysfunktionale Konfliktkosten wirken wie „Konfliktschlamm“ und sollten vermieden werden, denn mit jedem Schlammpartikel wird die Zusammenarbeit gestört, langsamer, fehleranfälliger und unproduktiver.

3. Konflikte sind kategorisierbar.

Um Konfliktkosten zu messen, ist es sinnvoll zunächst die Summe der Konfliktkosten zu erheben, da direkte Messversuche von dysfunktionalen Konfliktkosten in der Kausalitätsfalle münden. Der KPMG „Circle of Conflict“ (siehe Abbildung) mit seinen drei Dimensionen Person, Team und Organisation und seinen neun Konfliktkostenkategorien bietet ein greifbares Modell, in das sich alle Konfliktkosten einordnen lassen.

4. Konflikte entstehen in ähnlichen Bereichen.

Deutsche Unternehmen haben nach den Konfliktkostenstudien von KPMG vor allem in den Kategorien „Mängel in der Projektarbeit“, „Kundenund Lieferantenfluktuation“, „Überund Unterregulierung“ sowie „Entgangene Aufträge“ einen großen Nachholbedarf, was die Sichtbarkeit der Konfliktkosten angeht. Dies hat die KPMG-Konfliktkostenstudie 2 von 2012 bestätigt, wo vor allem in Projekten bereits im Einzelfall Konfliktkosten pro Jahr und Unternehmen von über einer Millionen Euro ermittelt wurden. Ineffizienz schürt Konflikte.

5. Ineffizienz schürt Konflikte.

Konfliktkosten entstehen vor allem durch die ineffektive Nutzung von Arbeitszeit. Arbeitszeit multipliziert mit dem Bruttoarbeitsentgelt erlaubt eine tages-, stundenund minutengenaue Berechnung der Konfliktkosten.

6. Konfliktkosten entsprechen einem Fünftel der Personalkosten.

Die Summe der Konfliktkosten entspricht im Durchschnitt in deutschen Unternehmen pro Jahr ca. 20 Prozent der Personalkosten. Hiervon wiederum lässt sich voraussichtlich ein Viertel jährlich reduzieren: Das ist der Konfliktschlamm. Dies bedeutet, dass ca. fünf Prozent der Personalkosten ohne Personalabbau effektiver genutzt werden könnten: Für viele Unternehmen ist das ein Millionenbetrag pro Jahr. Konfliktkosten für ein Unternehmen sind umso bedeutsamer, je höher der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten eines Unternehmens ist. Denn die Arbeitszeit der Mitarbeiter ist dann die wichtigste Ressource und Wertschöpfungsquelle der Unternehmen.

Eine weitere Möglichkeit zur Abschätzung von Konfliktfolgekosten bietet der sogenannte Konfliktkostenrechner (www.konfliktkostenrechner.de), mit dessen Hilfe eine Anzahl typischer innerbetrieblicher Konfliktfälle systematisch beurteilt werden können. Mit Kenntnis der Konfliktfolgekosten und der Gegenüberstellung von praktikablen Konfliktlösungsoptionen können Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, die einem Unternehmen zum einen gezieltes Handeln zu betriebsschädlichen Konflikten („Konfliktschlamm“) und zum anderen das Ableiten von Verbesserungen („Konfliktgold“) ermöglicht.

Kooperation oder „klare Kante“?

Die Kenntnis der Konfliktkosten bietet Unternehmen eine gute Entscheidungsbasis bei der Auswahl der richtigen Interventionsstrategie. Unternehmen bekommen so ein Instrument an die Hand, um Konflikte zielgerichtet zu bearbeiten. Führungskräfte gewinnen zusätzliche Sicherheit, um die Balance zwischen Kooperation und „klarer Kante“ zu halten. Der derzeitige Trend, kooperative Streitbeilegung als Königsweg zu bevorzugen, kann sich bei einer kritischen Betrachtung schnell als „Holzweg“ erweisen. Andersherum kann eine „klare Kante“ auch zu erheblichen, nicht kalkulierbaren Risiken führen.

Die Herausforderung liegt somit in der Wahl der richtigen, angemessenen Mittel. Ziel sollte sein, das „Zepter in der Hand zu behalten“, um in Konflikten agieren und aktiv steuern zu können. Hilfreich ist dabei ein analytisches Konfliktmanagement, das Interventionsstrategien bereithält. Diese sind häufig schon in Unternehmen vorhanden, selten jedoch systematisch erfasst. Zum Portfolio gehören individuelle Personalentwicklungsmaßnahmen für Führungskräfte und Mitarbeiter: Coaching- und Mentoringprogramme ebenso wie Mediation, Supervision, Moderation und Teamentwicklung. Aber auch arbeitsrechtliche Instrumente gehören ebenso wie Instrumente des Qualitätsund Prozessmanagements in den „Werkzeugkasten“ eines umfassenden Konfliktmanagementsystems.

Dieses Zusammenspiel von Analyse, Intervention und Strategie sowie der kritische Blick auf das Verhältnis von „Konfliktkosten“ und „Konfliktgold“ helfen, eines der noch großen, häufig unergründeten Effizienzpotentiale in Unternehmen zu bergen.

Dabei gilt es schließlich, das letzte Tabu in Unternehmen zu brechen, das der effektiven Konfliktbearbeitung im Weg steht: Die gute Führungskraft des 21. Jahrhunderts muss Konflikte nicht nur haben und bearbeiten dürfen – vielmehr muss ihre Fähigkeit, Konflikte sichtbar machen zu können, vom Unternehmen systematisch gefördert und belohnt werden!

Konflikte kompetent katalysieren

Wenn Unternehmen im Informationszeitalter erfolgreich am Markt agieren wollen, indem sie die Wissenspotentiale und Ressourcen ihrer Mitarbeiter und Teams optimal nutzen, müssen die Führungskräfte zu Katalysatoren von Konflikten werden. Konflikte an sich sind, wie dargestellt, weder gut noch schlecht. Sie bieten aber das Verbesserungspotential für Unternehmen, mit kreativer Kraft veraltete Gewohnheiten durch neue Ideen in einem geregelten Prozess abzulösen und somit zur Zukunftssicherheit entscheidend beizutragen. Ansonsten können sich Unternehmen nicht neu erfinden und treten auf der Stelle, bis sie vom innovativen Wettbewerber abgelöst werden – wie bei Nokia durch Apple und dann Samsung geschehen. Die Führungskraft des 21. Jahrhunderts muss als Teil ihrer Entscheidungskompetenz eine Konfliktkompetenz erlernen, die sie befähigt, zwischen „Konfliktschlamm“ und „Konfliktgold“ zu unterscheiden, damit die Mitarbeiter ihre Ressourcen zum Nutzen des Unternehmens einbringen können. Die „Ressource Mensch“ wird zwar oft proklamiert, sie jedoch mit modernen Instrumenten gesamtheitlich im Arbeitsumfeld zu fördern, wird vielfach noch unterlassen.

Konfliktkompetenz ist somit die Fähigkeit einer Führungskraft, die „Wertschätzungen“ aus innovativen Tools wie dem Konfliktkostenrechner zu nutzen, um die Fragestellungen, welche Konflikte die Mitarbeiter beschäftigen und wie diese funktional genutzt werden können, für alle sichtbar zu machen. Am Ende dieses Lernprozesses steht eine nachhaltige Konfliktkultur, die wie eine gute Isolierung in einem Haus dafür sorgt, dass die Energie der Bewohner so genutzt werden kann, dass das Haus weder zu heiß noch zu kalt wird.



Autoren

Dr. Oliver Ahrens, reconciliare Wirtschaftsmediation, Stuttgart

PD Dr. Gernot Barth, Steinbeis Beratungszentrum Wirtschaftsmediation, Leipzig

RA Bernhard Böhm, Steinbeis Beratungszentrum Wirtschaftsmediation, Leipzig

Dr. Alexander Insam, KPMG Law, Frankfurt